Musikhören sollte kostenlos sein

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Das soll kein Anreiz werden, sich Musik illegal zu beschaffen! Es geht hierbei um meine Meinung, warum ich das Monetarisieren des bloßen Hörens von Musik (zumindest digital) nicht all zu sehr legitimierbar finde. Es ist nachvollziehbar für mich, aber es fühlt sich für mich nicht (mehr?) nach dem "richtigen Weg" an. Warum?

Annahme

Musik hören sollte kostenlos sein. Das ist meine These. Ich möchte vorab ganz grob skizzieren, wie ich das für mich logisch begründe und werde dabei auch etwas extreme Punkte nennen. Letztendlich habe ich diesen Standpunkt aber auch nur bedingt - es gibt immerhin fließende Übergänge und viele Faktoren, die noch einmal einen anderen Rahmen schaffen könnten.

Unter Musik verstehe ich hierbei ein Werk, das bereits existiert und z.B. über einen Streamingdienst, Online oder über das Radio angehört werden kann. Es soll sich hierbei um ein Werk handeln, das keine weitere Arbeitszeit mehr benötigt - es ist z.B. digital unendlich duplizierbar. Nicht gemeint sind jetzt z.B. Aufführungen eines solchen Werks in Form eines Konzerts.

Mit kostenlos möchte ich den Aspekt Arbeitszeit einführen. Diese sollte in der Regel vergütet werden, wie ich finde. Da das besagte Werk allerdings bereits existiert und somit keine Arbeitszeit mehr benötigt, entfällt quasi die Legitimation der Vergütung, oder ist zumindest nicht mehr unmittelbar nachvollziehbar.

Und damit komme ich schon zu einer entscheidenden Differenzierung: mittelbare und unmittelbare Vergütung.

Mittelbare vs. unmittelbare Vergütung

Die unmittelbarste Vergütung dürfte wohl eine direkte Bezahlung einer Kundin, eines Kundens oder Fans sein. Mittelbarer wird es, je mehr Instanzen dazwischen liegen (z.B. ein Label, Streamingdienst, Zahlservice mit Gebühren, etc.). Womit ich erneut sagen möchte, dass es durchaus Abstufungen gibt und man das jetzt nicht schwarz oder weiß betrachten sollte.

Für ein mittelbares Vergütungsbeispiel konzentriere ich mich jetzt auf Musik, die nicht auf Basis eines direkten Auftrags produziert wird. Ein solches Erschaffen eines Werkes ist in gewisser Hinsicht erst einmal ein unternehmerisches Risiko: man produziert/komponiert z.B. Musik, für die man erst einmal nicht bezahlt wird. D.h. man arbeitet auf spekulativer Basis. Das heißt natürlich nicht, dass es nicht legitim ist, dass dieses Werk bezahlt wird - man agiert ja sicherlich professionell und hat vielleicht die Absicht einen wirtschaftlichen Mehrwert damit zu erzielen. Die Frage ist nur, wie und wann diese Vergütung stattfindet und vor allem: wie unterstützende Kräfte in Form von Fans oder Kunden diese Vergütung nachvollziehen können.

Jetzt gelangen wir schnell in den Bereich der Transparenz und somit auch Vertrauen. Ich gehe davon aus, dass man als unterstützender Fan möchte, dass die eigene Unterstützung definitiv bei der zu unterstützenden Kunst ankommt. Als Künstler möchte ich, dass mir meine Fans vertrauen können und die Unterstützung möglichst unmittelbar stattfindet. Dadurch habe ich darüber hinaus auch eine viel direktere Nähe zu meinen Fans!

Ein Beispiel für eher unmittelbare Vergütung wäre ein Auftrag, bei dem ich konkret für eine Kundin oder einen Kunden etwas komponiere und produziere und dann direkt bezahlt bekomme. Ich möchte allerdings jetzt einmal Beispiele für mittelbare Vergütungen beleuchten, da diese ja eher in meiner Kritik stehen.

Beispiel Streamingdienst

Ich betrachte mittelbar vs. unmittelbar irgendwie als eine Art Baukastenprinzip. Wenn Musiker auf dem Wochenmarkt musizieren und direkt Gelder vom Publikum vor Ort bekommen, ist das wohl die unmittelbarste Vergütung, die ich mir vorstellen kann. Bezahlen mich Kunden für einen fertig gestellten Auftrag, liegt höchstens die Instanz "Bank" zwischen mir und den Kunden. Das kann man jetzt fortspinnen und immer weiter verschiedene Instanzen dazwischen spinnen: Musiklabels, Streamingdienste, Zahlungsservices noch vor der eigenen Bank - ein Geldfluss vom Fan zur zu unterstützenden Kunst könnte also als Schema (vielleicht auch etwas drastisch symbolisiert) so aussehen:

Fan $$$$ ⇒ Streamingdienst $$ ⇒ Musiklabel $ ⇒ Bank $ ⇒ Künstler $

Es könnten also z.B. drei Instanzen zwischen Fan und Künstlern liegen. Allein in den Instanzen Streamingdienst und Musiklabel weiß ich nicht, wie es sich mit Transparenz verhält. Was ich aber bisher mitbekommen habe ist, dass Künstler am Ende nicht 100% der Zahlung der Fans erhalten, da die Systeme so aufgebaut sind und die Instanzen selbst ebenfalls etwas verdienen wollen. Je nach angebotenem "Service", der da getätigt wird, kann das bestimmt auch legitim sein. Ob das allerdings wirklich fair ausgearbeitet ist, ist vermutlich ein sehr entscheidender Punkt, der in der Kritik steht. Dafür kann ich folgende Quellen empfehlen, die sich in etwa mit einer solchen Frage etwas mehr beschäftigt haben:

Beispiel Verwertungsgesellschaft

Hier verhält es sich, meiner Empfindung nach, auch sehr intransparent. Allein durch den Rundfunkbeitrag entstehen bereits viele Tantiemen in Verbindung mit einer Verwertungsgesellschaft - und die Rundfunkgebühr zahlen alle deutschen Haushalte. Ob ich nun die Schlagersängerin höre oder mag, die da trällert, oder nichts von dem.

Meine Recherchen ergaben folgende konkreten Zahlen: die ARD bekommt ca. 70% des Rundfunkbeitrags (Quelle) und gibt selbst an ca. 2% davon für GEMA/GVL aufzuwenden (Quelle). Bei den 2021 erzielten Erträgen durch Rundfunkbeiträge von 8.422.080.636,04 € (Quelle) wären - wenn andere Sendeanstalten den gleichen Prozentsatz aufwenden würden - das letztendlich 168.441.612,72 € an Gebühren für Verwertungsrechte, die jeder deutsche Haushalt gezwungen ist zu zahlen.

Der Geschäftsbericht 2021 der GEMA lässt mich darüber hinaus auf folgende Rechnung kommen:

  • Die GEMA hat 2021 84.861 Mitglieder.
  • Die GEMA hat 2021 1.031.978.000 € Umsatzerlöse erzielt.
    • Darunter sind 67.971.000 € an Mitgliedsbeiträgen erzielt.
    • Und davon werden letztendlich wieder 826.028.000 € als Ausschüttungen ausgezahlt.
    • Bei der Anzahl der Mitglieder und Abzug deren Mitgliedsbeiträgen macht das im Schnitt ca. 11.360 € Ausschüttung pro Mitglied für 2021.

Ich hoffe, dass ich diesen Geschäftsbericht korrekt gelesen habe. Aber allein, dass er so kompliziert zu lesen ist, ist für mich eher ein Zeichen dafür, dass diese Systeme überarbeitungswürdig sind. Die Komplexität mag zu einem gewissen Grad nachvollziehbar sein, aber ich bin davon überzeugt, dass so etwas noch viel transparenter und einfacher ginge - allein schon durch die Verwendung modernerer Sprache und Form in so einem Bericht. Es könnte z.B. eine ähnlich einfache Rechnung, wie ich sie oben getätigt habe (falls ich es richtig gemacht habe), auf einer extra Seite geben.

Jetzt muss man sich einmal vorstellen, dass - wenn meine Rechnnung stimmt - so ein Mitglied im Schnitt über 10.000 € / Jahr an passivem Einkommen für nur mittelbar getätigte Arbeit bekommt. Zudem ist da auch eine geballte Ladung Glück und Geschmack mit im Spiel, welche Musik gut beim Publikum ankommt, was von entscheidenden Instanzen beworben und verstärkt wird und somit mehr Erfolg erfährt, etc. pp. All diese Aspekte sind einfach nicht einsehbar und im höchsten Maße intransparent.

Einblick in meine Selbstständigkeit: bei meinem niedrigsten Stundensatz mit üblichen Korrekturschleifen würden 10.000 € für ca. 45 Minuten, bei meinem höchsten Stundensatz mit üblichen Korrekturschleifen sogar nur ca. 15 Minuten Musik ausreichen. Ich mache im Jahr grob im Schnitt allerdings eine Stunde (Tendenz steigend) neue Musik und erziele damit nicht annähernd diese 10.000 € (vieles produziere ich als Lizenzmusik auf unternehmerischem Risiko voraus).

Für mich ist diese Beispielrechnung irgendwie ein Missstand. Natürlich kann das auch einfach nur bedeuten, dass ich zu wenig Erfolg habe oder gar mehr mittelbare Vergütungsmodelle nutzen sollte. Fakt ist hingegen, dass es mir sehr intransparent scheint und / oder schwierig zu recherchieren war, wie und wo Gelder hin und her fließen, wenn es um solche mittelbaren Vergütungsmodelle geht. Und das ist etwas, was ich nicht in Ordnung finde.

Beispiel Produktionsmusik

Ein weiteres Modell gibt es noch, das etwas weniger Instanzen bei der mittelbaren Vergütung enthält: Produktionsmusik / Lizenzmusik. Da gibt es dann ggf. folgende Kette:

Kunde $$$$ ⇒ Lizenzagentur $$ ⇒ Bank $$ ⇒ Künstler $$

Das Rezipieren der Kunst kann dabei oftmals frei und kostenlos zugänglich bleiben. Als Beispiel möchte ich exemplarisch drei Produktionsmusik Archive anführen, auf denen man die Musik kostenlos hören kann, wohingegen man für die gleiche Qualität an Musik im Radio mehr oder weniger passiv Geld bezahlt (durch das Hören von Werbung oder den Rundfunkbeitrag!): AudioAhead, Proud Music oder Extrememusic. Es gibt also bereits Künstler, die Musik komponieren und produzieren und frei zum Hören zur Verfügung stellen - das ist also keine Utopie.

Es geht hierbei vor allem auch darum, dass der wirtschaftliche Mehrwert für die Kundschaft vergütet wird und ich etwas von diesem Mehrwert mit abbekomme. D.h. das Hören ist kostenlos, aber sobald die nutzende Instanz mit meiner Musik einen wirtschaftlichen Mehrwert generieren möchte, zahlt sie. Das finde ich persönlich durchaus fair.

Beispiel Crowdfunding

Es gibt letztendlich noch ein Beispiel, das meines Erachtens relativ nahe an die unmittelbare Vergütung herankommt: durch Fans direkt über eine Plattform unterstützt werden. Eine Plattform, auf der es letztendlich keinen Verteilerschlüssel geben muss, weil die Fans die Kunst direkt unterstützen. Ich selbst bin z.B. auf folgenden Plattformen:

Dort hat man letztendlich auch nur wenige Instanzen zwischen sich und seinen Fans und oftmals eher geringe prozentuale Abgaben (über Gebühren der Plattform und Online-Zahlungsdienste). Effektiv bleibt einem als Künstler aber am Ende mehr von der Unterstützung der Fanbase. Eigene Erfahrung: man braucht allerdings auch eine Fanbase, die wirklich gewillt und überzeugt ist, einen zu unterstützen. Bei mir ist diese Fanbase noch in den Anfängen und ich bin den wenigen Fans, die bisher dabei sind, unfassbar dankbar! Denn neben der finanziellen Unterstützung ist auch die Nähe zu den Fans gewinnbringend. Ich sehe direkt welche konkreten Menschen dahinter stehen und bin dadurch viel motivierter. Das ist ein ganz anderes Gefühl als eine bloße Play- oder Klick-Zahl zu lesen, die im Endeffekt kaum etwas auszusagen vermag. Und ich kann im direkten Kontakt mit meiner Fanbase stehen und eher Inhalte generieren, die ihnen wirklich gefallen.

Fazit

Die nicht unmittelbare Bezahlung durch z.B. Tantiemen durch eine Verwertungsgesellschaft oder Ausschüttungen von Streamingdiensten o.ä. erscheint mir insgesamt sehr schwierig. Für die Fans der Kunst ist sicherlich nicht direkt klar, was ihr Künstler wirklich bekommt von den Ausgaben, die die Fanbase leistet (durch z.B. Abo-Gebühren). Zudem frage ich mich, wie einfach und transparent für Künstler einsehbar ist, wer was verdient. Da habe ich leider keine eigene Erfahrung und keine Einsicht - intuitiv würde ich aber vermuten, dass auch diese Daten nur pseudo-transparent gehalten werden (z.B. durch Dark Patterns oder unklare Zahlenzuordnungen). Allein meine Recherchen dazu waren sehr schwierig.

Ich als Künstler möchte nicht, dass meine Fans mich finanziell unterstützen und letztendlich nicht die Möglichkeit dabei haben, sehr konkret zu sehen, wie ihre Gelder zu mir kommen. Wenn ich von einer Person ein Fan bin, möchte ich auch nicht monatliche Beiträge zahlen, die nachher ggf. zu einem Großteil jemand ganz anderes bekommt.

Darüber hinaus finde ich, dass Bildung und Wissen genau so wie Kultur generell frei zugänglich sein sollten. Das bloße Rezipieren von Kultur erachte ich als essenziell und wichtig für die Menschen. Natürlich steht das ein bisschen im Konflikt mit der Existenz der Künstlerin oder des Künstlers selbst: irgendwann wird zwangsweise Lebenszeit investiert, um die Kunst zu erschaffen. Und diese Zeit muss von einer Existenzgrundlage gesichert sein. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass es andere Systeme geben sollte und könnte. Vor allem sollten alle Musiker sich über diese Dinge im Klaren sein und vor allem keinen Zwang verspüren müssen bei einem Streamingdienst / Verwertungsgesellschaft / o.ä. zu sein. Und sie sollten auch keine Angst mehr haben müssen, ihre eigene Existenz zu sichern.

Nachtrag

05.09.2022: Ausgehend von einem Leserkommentar habe ich den Wertbegriff von Musik in einem neuen Post behandelt: Der Wert der Musik.

31.07.2023: Ich fand in der taz einen Artikel, der - wie ich finde - zum Thema meines Posts hier passt: Musik existiert nicht mehr (analog). Dort heißt es mitunter:

"[Ein Streamingdienst] kann meinen „gekauften“ Filmen aus [seiner] Mediathek entfernen und dann ist er weg."

Ich sehe darin ein weiteres Ausmaß des Missstandes, dass Musikhören mit mittelbarer Vergütung irgendwie problematisch ist. Man gibt die Kontrolle seines Kunstwerks an Dritte ab und lässt diese Dritten dann entscheiden, wie mit den eigenen Fans / Rezipienten umgegangen wird.