Der Wert der Musik

→ read in english

Ein Leser machte mich darauf aufmerksam, dass in meinem Post Musikhören sollte kostenlos sein ein essenzieller Punkt fehlt: die Klärung des Wertbegriffs in Bezug auf Musik oder auch allgemeiner: Kunst. Das möchte ich einmal in diesem Post behandeln.

Was bedeutet überhaupt Wert?

Man kann den Begriff Wert in verschiedenen Hinsichten lesen, wobei meist sicherlich auch der Kontext entscheidend ist. So kann Wert einmal für etwas bloßes naturwissenschaftliches stehen. Z.B. ein Zahlenwert, der etwas angibt. Für mich steht dem gegenüber eine weitere Interpretation des Begriffes: Wert im Sinne von Wertung. Das eine wäre also eher objektiv, eine Wertung hingegen meist eher subjektiv - zumindest die Art der Wertung die ich hier meine: die subjektive Einschätzung von Dingen. Dann kann der Begriff auch mit Wertvorstellungen in Verbindung gebracht werden. Dabei ginge es dann um Moral und erstrebenswerte Ideale. Man kann den Begriff Wert aber auch wirtschaftlich interpretieren und somit als Bepreisung von Wirtschaftsgütern oder Dienstleistungen betrachten. Vielleicht gibt es noch weitere Möglichkeiten der Interpretation, aber die sind mir nicht eingefallen.

Musik und ihre Werte

Da ich Musiker bin, werde ich vor allem von der Musik ausgehen. In diesem Feld konnte ich immerhin schon mehr eigene Erfahrung in Bezug auf dieses Thema sammeln und Gedanken entwickeln. Die ganze Thematik wird sich aber sicherlich entsprechend auch allgemein auf die Kunst übertragen lassen - Musik ist immerhin nur ein Teilbereich der gesamten Kunstwelt.

Ich versuche jetzt einmal gemäß meiner obigen Definition des Begriffes Wert, die Musik mit den möglichen Bedeutungen in Verbindung zu bringen. Dabei nutze ich alle obigen Interpretationsmöglichkeiten, um ggf. auch noch weitere Gedanken anregen zu können.

Zahlenwert und Musik

Wert als Zahl betrachtet kann man mit Musik ganz gut in Verbindung bringen. So gibt es in der Musik konkrete Notenwerte, die die Dauer einer Note angeben. Dann gibt es auch Taktarten, die oft mit konkreten Zahlen angegeben werden. Und es gibt dann auch noch das Tempo, das auch oft mit konkreten Zahlen die Geschwindigkeit eines Stücks oder einer Passage angibt. Es gibt außerdem Intervalle und Stufentheorie. In diesen Feldern kann es ebenfalls üblich sein, Zahlen als Stellvertreter konkreter Modi oder Tonabstände zu symbolisieren oder auch zu messen. Musik ist letztendlich doch sehr mathematisch!

Wertung von Musik

Über Geschmack lässt sich nicht streiten ("De gustibus non est disputandum") - das ist mir als Redewendung bekannt. Man kann gewisse Musik toll finden oder eben nicht. Es gibt natürlich auch Abstufungen dazwischen und man findet z.B. etwas nur zu einem Teil gut. Und anbei finde ich es auch immer interessant, wenn man sich einmal Musik anhört, obwohl man sie nicht mag, und dann versucht zu analysieren, warum man diese Musik eigentlich nicht mag. Auch kann man einmal versuchen nicht gemochte Musik zu analysieren und Elemente zu finden, die man dann doch irgendwie mag. Ich denke, dass das ein Aspekt ist, durch den man immer wieder gut spüren und erfahren kann, dass die Welt weder schwarz noch weiß ist. Aber das nur am Rande.

Letztendlich sollte man hier auch Meinung und Überzeugung differenzieren (auch ein Anreiz des Lesers, für den ihn ihm sehr dankbar bin). Eine Meinung ist dabei etwas, das in keinem konkreten System fußt. Sie lässt keine nach innen gerichtete Beobachtung zu und ist jederzeit ohne Folgen änderbar. Eine Überzeugung ist hingegen etwas, das als Folge konkreter Aspekte eines Systems resultiert. Eine Überzeugung ist auch änderbar - und zwar nachvollziehbar. So kann es überzeugendere Begründungen geben, die zu einer aufgewerteten Überzeugung führen. Also mit einer Überzeugung lässt sich ein Geschmacksurteil begründen - mit einer Meinung nicht. (Anmerkung: das ist mein umschriebendes Verständnis der Erklärung des Lesers zu dem Thema - Credits also nicht unbedingt an mich!)

Wertvorstellungen und Musik

Musik selbst kann keine Wertvorstellung haben, da sie kein Individuum ist. Aber sie kann ggf. Wertvorstellungen tragen! So könnte es Musikstücke geben, die verschiedene Themen, die mit Wertvorstellungen zu tun haben, behandeln. Wobei ich das persönlich zugleich etwas schwierig finde, da ich Musik hierbei textlos betrachten würde. Und da Musik ein nonverbales Medium und entsprechend oft sehr weitläufig interpretierbar ist, erachte ich es als schwierig, wenn man behaupten möchte, dass ein gewisses Musikstück z.B. unmissverständlich von diversen Wertnormen handelt. Dazu dürfte stets der Kontext (z.B. das Leben des Komponisten, die Zeit, in der das Stück kompniert wurde, etc.) eine entscheidende Rolle spielen. Es bleibt hier also eher etwas offen und nicht eindeutig, wenn man Musik derart deuten wollte, finde ich.

Anders verhält es sich eventuell "anders herum". Und zwar, wenn Musik selbst eine Vorstellung von Wert im Individuum wird. Zumindest verstehe ich den Begriff Wertvorstellung derart: Es geht darum, einer Handlung oder einem Objekt eine gewisse Qualität zuzuschreiben, die mit gemeinheitlich erstrebenswerten moralischen, ethischen, sozialen und ähnlichen Eigenschaften einhergeht. Als Beispiel in Bezug auf Musik: für mich hat Musik einen persönlichen Wert in sofern, als sie mir Gefühle geben kann, die seltener im Alltag anzutreffen sind. Entsprechend kann mich Musik sozusagen auch in andere Welten versetzen und generell meine Gedanken anders lenken. Musik hat also einen Wert für mich, den niemand sonst in genau der Art und Weise bemessen könnte.

Wirtschaftlicher Wert von Musik

Dies ist jetzt der Teil, den ich primär in meinem anderen Post letztendlich stets im Hinterkopf hatte - das impliziert ja auch der Titel: Musikhören sollte kostenlos sein. Kostenlos dürfte man stets mit Wirtschaftlichkeit und Finanzen in Verbindung bringen.

Was ist nun der Wert von Musik?

Obgleich man mit dem Stichwort "kostenlos" auf den finanziellen Aspekt des Wertbegriffs schließen könnte, ist die Kritik des Lesers dennoch gerechtfertigt. Die Frage war:

"[Was] ist, wenn [...] das Kunstwerk eben nicht veröffentlicht oder überhaupt erst hergestellt wird. Was entgeht der Welt und der Volkswirtschaft?"

Hier nun meine ganz eigene Meinung dazu, was der Wirtschaft und was der Welt entgehen würde:

Wirtschaft

Diesen Aspekt finde ich extrem schwierig, wenn ich darüber nachdenke. Spontan antwortete ich dem Leser, dass der Wirtschaft vermutlich nichts wirklich entgehen würde - sehr impulsiv und extrem, gar keine Frage. Je mehr ich jetzt allerdings darüber nachdenke, desto mehr finde ich es schwierig einfach "Es entgeht der Wirtschaft nichts" zu behaupten.

Der Wirtschaft würde eventuell etwas entgehen, was man in Zahlen bemessen kann. Gar keine Frage. Aber ich frage mich dabei, wie viel dieses wirtschaftlichen Wertes einfach nur ohne inhaltliche Grundlage bemessen wurde. Man darf hierzu gerne meinen oben verlinkten Post lesen. Ich denke da vor allem an den Aspekt der mittelbaren Vergütung, durch die nicht mehr klar und transparent ersichtlich wird, wofür da eigentlich bezahlt wird. Auch steht die Frage im Raum, wie fair das ist. Denn meine Erfahrung ist, dass es eine recht große Spanne an Vergütungshöhen für Musik, die prinzipiell sehr ähnlich ist, gibt (man suche einfach mal auf Fiverr nach "Composer"). Warum bekommt z.B. Musiker 1 mehr Vergütung als Musikerin 2, obgleich die Stücke der beiden fachlich womöglich sehr ähnlich in ihrer Qualität zu bewerten sein könnten (wie konkret man hier bewerten kann, steht ja bereits oben in einem Abschnitt in Frage)? Also das ist jetzt nur ein Beispiel für den Aspekt, dass die mittelbare Vergütung irgendwie sehr intransparent auf mich wirkt. Wobei die letzte Frage gleichermaßen für die mittelbare Vergütung und die allgemeine Frage des wirtschaftlichen Werts von Musik gilt: Was rechtfertig unterschiedliche Preise unter Musikern? Qualifikation? Berufserfahrung? Oder eher noch ungleiche (und meines Erachtens oft sehr unfaire) Rahmenbedingungen wie Bekanntheit, Herkunft, soziales Umfeld, Geschlecht oder auch nur das verfügbare Equipment für die Musik?

Vielleicht konnte ich meine Gedanken dazu etwas skizzieren, warum ich es schwierig finde, Musik einen wirtschaftlichen Wert zuzuschreiben. Natürlich finde ich es selbst als freischaffender Komponist letztendlich durchaus selbstverständlich, dass man bezahlt wird und somit seine Existenz finanzieren kann. Aber entgeht, ausgehend von der Frage des Lesers, der Volkswirtschaft letztendlich wirklich etwas, wenn ich meine Arbeit als Musiker nicht kostendeckend machen kann? Ja vielleicht der wirtschaftliche Anteil, den meine Ausgaben hier ausmachten? Was ist, wenn ich allerdings merke, ich kann nicht mehr von der Kunst leben und einen anderen Job antrete? Und dann ist der Anteil trotzdem da, nur eben nicht mehr durch die Kunst erwirtschaftet. Dann decke ich mit einem anderen Job meine Ausgaben und nehme somit die Kunst aus dieser eben erzeugten Gleichung. Es kreist in meinem Kopf und ich finde es schwierig, sich dazu Gedanken zu machen. Letztendlich ginge es mir als Musiker ja mitunter darum, meinen Job in dieser wirtschaftlichen Welt zu rechtfertigen. Es ist interessant, wie paradox und auch irgendwie ... ja, schwierig, wie ich finde!

Welt

Für mich persönlich besteht der Wert der Musik vor allem in den Dingen, die ich unter dem Punkt Wertvorstellungen und Musik angesprochen habe. Hierbei geht es (zumindest für mich) um die weniger greifbaren Dinge. Worin letztendlich meines Erachtens der Wert der Musik (und auch Kunst) besteht, sind Prozesse im Kopf der Menschen. Damit meine ich Denkprozesse, wie z.B. die Gesellschaft durch die Kunst dazu anzuregen, sich selbst konkreter zu reflektieren. Also geht es darum, zum Denken anzuregen, Menschen zu motivieren, Alternativen und neue Perspektiven aufzuzeigen. Und auch auf der sozialen zwischenmenschlichen Ebene sehe ich einen gewissen Wert von Musik und Kunst: sie verbindet Menschen, bereitet gemeinsam Freude, regt auch einmal zum Weinen an und kann insgesamt sicherlich somit auch zur "seelischen Reinigung" beitragen. Und auch darüber hinaus kann Musik ein konkretes Werkzeug für Anlässe sein: als Unterstützung bei Meditation oder kulturell auf Feiern.

Zusammengefasst würde ich also auf die Frage "Was entgeht der Welt?" antworten: vieles, was den Menschen innerlich (Denken, Emotionen, Motivation, etc.) erfüllt, hilft bzw. auch irgendwie generell ausmachen kann.

Fazit

Welchen Wert Musik oder die Kunst hat, ist aus verschiedenen Perspektiven für mich betrachtbar. Da ich persönlich kapitalistischen Gedanken zugegeben eher kritisch gegenüber stehe, ist der wirtschaftliche Wert dabei eher weniger wichtig. Meine Überzeugung in diesem Bereich besteht darin, dass Geld und Wirtschaftswachstum an sich kein essenzielles Gut für den Fortbestand der Menschheit sind. Deshalb erachte ich alle weniger greifbaren "Werte der Musik" als weitaus naheliegender - für mich.