Verkerhsklimakrise

Schon länger wollte ich einmal niederschreiben, wie ich das Verkehrsklima in Deutschland so empfinde. Anfangs war der Post für mich dazu gedacht, einfach mal Dampf abzulassen. Nach langem Verharren in der "Schublade" habe ich versucht, diesen Post noch einmal konstruktiver zu gestalten. Es geht letztendlich um meine eigenen Erfahrungen und versuchte Lösungsansätze.

Fragen

Ich bevorzuge es, zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu fahren, obwohl ich gelegentlich auch ein Auto nutze. Während ich mich stets an alle Verkehrsregeln halte, erlebe ich dennoch bei jeder Verkehrsteilnahme, dass es andere Teilnehmer gibt, die diesen Regeln nicht folgen. Obgleich mich manche vielleicht als übermäßig regeltreu oder pingelig empfinden könnten, betrachte ich meine Einstellung als fair und solidarisch anderen (Verkehrsteilnehmern) gegenüber. Tatsächlich orientiere ich mich intuitiv am 4. Artikel der französischen Erklärung der Menschen und Bürgerrechte von 1789, der besagt:

"Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet."

Ich versuche mich also so zu verhalten, wie ich es auch von anderen mir gegenüber erwarte.

Erlebnisse

Der Verkehr mag ein komplexes System sein, das von vielen Faktoren beeinflusst wird und in dem es oft zu Verstößen und gefährlichen Situationen kommt. Die Einhaltung von Regeln und die Verantwortung jedes Verkehrsteilnehmers sind entscheidend für die Sicherheit aller. Allerdings kann es frustrierend sein, wenn Anzeigen gegen Verstöße oft ohne Konsequenzen bleiben und Gespräche mit Verkehrsteilnehmern oft nicht zum gewünschten Ergebnis führen. Als Bürger fühle ich mich in solchen Situationen oft machtlos und die Unachtsamkeit anderer Verkehrsteilnehmer gibt mir das Gefühl der Ohnmacht und Frustration.

Meine Erfahrungen von Regelverstößen, die im übrigen regelmäßig zu beobachten sind, reichen über die ganze Bandbreite: zu wenig Sicherheitsabstand, Nötigung, überhöhte Geschwindigkeit, zu wenig Mindestabstand von 1,50m beim Überholen von Rädern, Falschparken; z.B. auf Fahrradwegen, Fahrräder, die sich nicht an das Rechtsfahrgebot halten, ihr Abbiegen nicht ankündigen oder ohne oder mit nicht ausreichender Beleuchtung fahren, während der Fahrt ein Handy o.ä. bedienen, uvm.

Trotz meiner Bemühungen, Verkehrsverstöße an zuständige Stellen zu melden, habe ich das Gefühl, dass wenig oder gar nichts unternommen wird. Es wurde mir sogar geraten, keine Anzeigen mehr zu erstatten, da sie oft ohne Erfolg blieben. Diese Machtlosigkeit als Bürger frustriert mich zutiefst. Auch direkte Ansprachen von Verkehrsteilnehmern haben in der Regel wenig Erfolg und können sogar zu aggressiver Reaktion führen.

Recherche

Ich habe ausgehend davon (und auch für diesen Post) einmal angefangen zu recherchieren. Und zwar was sowohl meine Stadt eigentlich plant und tut, aber auch ob und was es für eine Art Studie zum Thema des Verkehrsklimas gibt.

Pläne der Heimatstadt

Ich habe angefangen zu recherchieren, was meine Stadt konkret für die Verbesserung von z.B. der Radfahrinfrastruktur plant. Mitunter auch, weil mein Hauptverkehrsmittel das Fahrrad ist. Dafür habe ich in den Maßnahmenkatalog 2022 der Stadt Wolfenbüttel geguckt. Bis Dato ist übrigens der 1.3.2022 das Datum der Aktualität dieses Dokuments und ich fand kein aktuelleres Dokument auf der Website der Stadt. Es enthält für jede gelistete Problemstelle mitunter eine Problembeschreibung, eine benötigte Maßnahme und eine Umsetzung. Entsprechend habe ich alle erfassten Maßnahmen überflogen, gezählt und in folgender Tabelle zusammengefasst:

Was?Wie viel?
Umsetzung fehlt34 / 59%
Umsetzung geplant oder im Gange11 / 19%
Umsetzung wird geprüft11 / 12%
Umsetzung verschoben6 / 10%
Gesamt58

Auf mich wirkt dieses Dokument äußerst ernüchternd, wenn bei über der Hälfte dieser Problemstellen eine konkrete Umsetzung fehlt. Dazu kommt, dass mir noch einige weitere Stellen der Stadt einfallen, die für den Radverkehr in dieser Stadt verbesserungswürdig wären. Die Liste könnte also vermutlich um einiges länger sein. Erschreckend fand ich auch, dass mitunter Radweg-Markierungen gänzlich entfernt werden sollen (S8, S29) oder ein baulich getrennter Weg sogar zurück gebaut werden soll (S10). Der Sinn dahinter erschließt sich mir nicht.

Der Umsetzungskatalog 2022 ist leider ebenfalls mit der Aktualität auf den 1.3.2022 datiert. Die Umsetzungen für die gelisteten Jahre sieht wie folgt aus:

JahrUmsetzungen
20212
20201 (+1 geplant, +1 unklar/stop)
20197
20180
20171 (+1 geplant, +1 unklar/stop)
20166 (+1 geplant, +4 unklar/stop)
20157 (+1 geplant, +1 unklar/stop)
20143 (+1 geplant, +1 unklar/stop)
20131 (+2 unklar/stop)
20124 (+1 unklar/stop)
20113
20105
20092 (+1 unklar/stop)
20081
Gesamt43

Das macht in den 14 gelisteten Jahren ca. 3 Umsetzungen pro Jahr. Dazu kommen 5 Umsetzungen, die umgeplant wurden und 12 Umsetzungen, die entweder scheinbar abgebrochen wurden, die gesetzliche Lage es nicht zulassen würde oder das Feld einfach leer ist. In mir wirft das die Frage auf, ob hier wirklich genug für den Radverkehr getan wird oder nicht. Dabei bedenke ich natürlich fairer Weise auch, dass der gesetzliche Rahmen, finanzielle Mittel oder vergleichbare Resourcen es erschweren dürften, gewisse Maßnahmen umzusetzen. So etwas hätte ich dann allerdings auch gerne in den Dokumenten transparent gelesen (wobei der gesetzliche Rahmen wenige Male erwähnt wurde - immerhin!).

Überdies wäre es weitergehend interessant vergleichbare Maßnahmenkataloge von anderen Städten anzugucken. Dann könnte man die Maßnahmen in Relation setzen und weitergehend bewerten. Allerdings fehlt mir momentan die Zeit, hier noch tiefer zu graben.

Verkehrsklima in Deutschland

Ich beziehe mich in diesem Abschnitt auf die Befragung der UDV von 2020. Es handelt sich dabei nach deren Angaben um eine repräsentative Umfrage der Unfallforschung der Versicherer mit 2080 Befragten im Jahr 2019.

Was mir auf Anhieb auffiel ist die Verteilung der PKW-Fahrenden und Radfahrenden. 50% der Befragten fahren täglich im PKW. Dem Gegenüber stehen z.B. nur 18%, die täglich Rad fahren oder auch nur 20%, die 1-3 mal pro Woche fahren. 37% hingegen würden nie oder fast nie Rad fahren. In mir wirft das die Frage auf, ob diese Umfrage entsprechend wirklich representativ für ein Verkehrsklima in Deutschland sein kann. Denn es scheint zu einem erheblichen Großteil ein Klima von Autofahrern abzubilden. Oder bedeutet es letztendlich nur, wie wenig Rad im Verhältnis zum Auto gefahren wird? Auch beim ÖPNV sind es nur 11% der Befragten, die diesen täglich und sogar 43%, die diesen nie oder fast nie nutzen.

Auf Seite 31 geht es um das wahrgenommene Verkehrsverhalten seit der Corona-Pandemie. Einmal das eigene Verhalten und einmal das der anderen. So stehen dort z.B. "42% der anderen verhalten sich im Verkehr aggressiv" gegenüber "9% ich verhalte mich im Verkehr aggressiv". Das finde ich ebenfalls sehr auffällig. Aber eventuell ist das auch typisch Mensch, sich selbst weniger Fehler zuzuschreiben als den anderen?

Verbesserungswünsche

Nun möchte ich versuchen zu formulieren, was ich mir wünschen würde und wie das eventuell umzusetzen sein könnte. Da ich momentan zeitlich nicht zu viel aufwenden kann, ist die Liste etwas kürzer.

Ein wichtiger Punkt wäre mitunter die Verkehrs-Ausbildung und -Aufklärung. Man macht bisher einmal in Deutschland einen, meiner Empfindung nach, viel zu einfachen Führerscheintest mit praktischer Prüfung. Im Anschluss kann man die Theorie sozusagen vergessen und darf am Verkehrsleben teilnehmen. Zumindest ist das meine Erfahrung gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern. So sei "3 Minuten parken überall erlaubt", entgegnete mir man einmal. Dabei schien dieser Verkehrsteilnehmer das mit §12, Nummer 2 durcheinander gebracht zu haben: "Wer sein Fahrzeug verlässt oder länger als drei Minuten hält, der parkt." Oder es begegnen mir auch öfter Radfahrer auf der falschen Straßenseite. Da Radwege in meiner Stadt sehr oft extrem eng sind und nur oft nur ein Rad drauf passt, weiche ich auch nie auf den Gehweg aus. Immerhin befinde ich mich stets auf der richtigen Seite. Ein Radfahrer setzte einmal durch sein Verhalten voraus, dass ich jetzt auszuweichen habe - musste dies dann aber rechts von mir tun. Er fand das sogar derart schlimm, dass er mir aggressiv "In Deutschland fährt man rechts" zuschrie. Wie ironisch, da dieser Radfahrer sich selbst auf der falschen Seite befand. Es ist ganz einfach meine Erfahrung, dass viele Verkehrsteilnehmer sich über viele Regeln gar nicht bewusst sind. Gesetze müssten also noch einfacherer zugänglich und verständlicher sein und eine Pflicht zur Aufrischung wäre ebenfalls denkbar.

Ein weiterer Punkt betrifft Bußgelder. Es müsste doch eine der leichtesten bundesweiten Maßnahmen sein, Bußgelder insgesamt zu erhöhen, oder nicht? So könnte man die 30€ bei 10 km/h innerorts zu viel doch einfach auf 60€ oder 90€ anheben. Sich technisch an die Geschwindigkeit halten ist nun wirklich kein Hexenwerk. Natürlich sollte man das mit sämtlichen anderen Bußgeldern ebenfalls tun - auch für Verstöße, die Fußgänger oder Radfahrer tätigen.

Bürger sollten einfacher und mehr Druck machen können gegenüber zuständigen Stellen, die das Verkehrsleben "lenken" und "kontrollieren". Ich könnte mir vorstellen, dass das Gefühl, letztendlich doch etwas bewirken zu können, sicherlich dem Verkehrsklima positiv dienlich sein könnte. Zudem könnte es auch regelmäßige Verkehrsklima-Umfragen der Stadt geben. Dadurch hätte die Stadt stets ein Feedback der Bürger und letztere würden sich angehört fühlen.

In Bezug auf die Verkehrsplanung einer Stadt wünsche ich mir viel mehr Willen, zukunftsorientiert den Verkehr zu verändern. Dazu gehört natürlich stets, dass der Verkehr sicherer wird. Es gehört auch dazu, dass die ökologischen Folgen bedacht werden und auch hier zukunftsorientierter gehandelt wird.

Auch in Bezug auf Maßnahmen und Umsetzungen wünschte ich mir schnellere und sinnvollere Umsetzungen. Wenn die Gesetzeslage es nicht zulässt, wünschte ich mir transparente Berichte, was die jeweiligen Politiker oder Stadtplaner entsprechend als Folge getan haben. Hat man sich an die "nächst höhere Stelle" gewendet oder die Maßnahme einfach wieder vergessen? Ich wünsche mir also zu sehen, dass es wirklich einen starken Willen gibt, etwas zu ändern. Oder eben transparent sehen zu können, dass gar kein Wille vorhanden ist und ersichtlicher eine Änderung nötig wäre. Sollte es finanziell hadern, wünschte ich mir eine konkrete, einfache und transparente Finanz-Auflistung im jeweiligen Dokument. Es sollte erkennbar sein wo welche Gelder hingeflossen sind, um somit ggf. auch verstehen zu können, warum was wann getan wird oder wurde.

Zusammengefasst also:

  • einen einfacheren und übersichtlicheren Zugang zu besagten Gesetzen
  • regelmäßige Auffrischungspflicht für bestehende und neue Verkehrsgesetze mit kurzer Prüfung
  • Bußgelder drastisch erhöhen
  • einfachere Einbeziehung der Bürger in Verkehrsklima + regelmäßige regionale Verkehrsklima-Umfragen
  • starker Willen der Stadt, den Verkehr zu verbessern
  • schnellere und sinnvollere Umsetzungen der Maßnahmen + transparente Berichte über das Nicht-Erreichen von Zielen

Fazit

Ich finde es unfassbar schwer, angesichts der eigenen Erfahrungen im Verkehr und der hier recherchierten und sonst auch bekannten Maßnahmen zur Optimierung des Verkehrsklimas, gelassen und ruhig zu bleiben. Es ist einfach unglaublich ernüchternd zu erfahren, dass man weder direkt von Angesicht zu Angesicht die Menschen erreichen kann, noch über offizielle Wege etwas verändern kann. Eine Veränderung des Verkehrs gibt es, meinem Gefühl nach, ausschließlich zugunsten des motorisierten Verkehrs. Diesen wird z.B. weitaus mehr Platz eingeräumt (siehe Maßnahmenkatalog). Das find ich emotional betrachtet sehr belastend und nüchtern betrachtet angesichts der Klimakrise sowieso kontraintuitiv.

Aber es bleibt die Frage offen, ob ich mich zu sehr von solchen Dingen irritieren lasse, oder ob das Verhalten der Menschen wirklich immer destruktiver wird. Vielleicht ist auch nur meine Wahrnehmung verzerrt und die Thematik insgesamt zu emotional geprägt? Machtlos fühle ich mich dennoch. Ich möchte trotzdem mein Bestes versuchen und weiterhin gelassen, geduldig und verständnisvoll anderen Menschen gegenüber treten - so sehr mich ein Verhalten auch aufzuregen vermag. Vielleicht sollte ich noch öfter meditieren. (;